Regisseur und Drehbuchautor Martin McDonagh (Brügge sehen und sterben, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri) bringt neuerlich Colin Farrell und Brendan Gleeson gemeinsam auf die Leinwand. In dieser melancholischen und gleichzeitig witzigen Tragikomödie geht es um eine innige Männerfreundschaft im Irland der 1920er Jahre, die schon in die Brüche gegangen ist, bevor die Geschichte überhaupt beginnt. The Banshees of Inisherin ist einer der schönsten Filme des Jahres und heißer Kandidat bei den Oscars 2023.
Darum geht es
Eine Irische Insel 1923. Pádraic (Colin Farrell) ist auf dem Weg, seinen besten Freund Colm (Brendan Gleeson) zum alltäglichen Pubbesuch abzuholen. Doch Colm öffnet ihm nicht. Pádraic ist irritiert. Seine Schwester Siobhán (Kerry Condon) meint lapidar: “Perhaps he just doesn’t like you no more” und niemand ahnt wie recht sie damit hat. Der Violinspieler Colm hat beschlossen, Abstand zu nehmen von Pádraic und seinen einfältigen Gesprächen. Er möchte sich auf das Komponieren konzentrieren. Die Zeit sei zu kostbar.
Sein ehemaliger Freund nimmt das aber nicht so einfach hin. Doch Colm meint es ernst, sehr ernst und droht zu drastischen Mitteln zu greifen. In der Zwischenzeit macht sich Dominic (Barry Keoghan) Hoffnungen, bei Siobhán zu landen. Er versucht vor seinem brutalen Vater loszukommen. Doch Siobhán hat die langweilige Insel und alle ihre Bewohner längst satt und möchte nur weg. Pádraic versteht das alles nicht und merkt in seiner unbekümmerten Art nicht, wie er auf eine große Katastrophe zusteuert.
Kommentar
Etwa im 5-Jahres Rhythmus bringt Martin McDonagh Filme heraus, die auf die ein oder andre Art auf Festivals und bei Preisverleihungen für Aufsehen sorgen. Nun ist es ihm mit seinem Originaldrehbuch neuerlich gelungen, dass man an The Banshees of Inisherin in diesem Jahr wohl kaum vorbei kommt. Vor der pittoresken Kulisse der fiktiven irischen Insel Inisherin entfaltet sich ein Drama um zwei Männer, das voll Melancholie und Witz ist. Getragen wir es von einem virtuosen Ensemble, angeführt von Gleeson und Farrell, der eine der besten Leistungen seiner Karriere bietet und dafür in Venedig ausgezeichnet wurde. Obwohl die beiden Männer im Zentrum der Geschichte stehen, läßt das Drehbuch noch genügend Zeit für Kerry Condon (Siobhán) und ihre Träume für eine bessere Zukunft. Barry Keoghan als Dominik stiehlt den anderen in einer Nebenrolle fast die Show.
„I just don’t like you no more.“
Colm Doherty zu seinem ehemals besten Freund. „The Bahnsees of Inisherin“ (Martin McDonagh, 2022)
Eine weitere Hauptdarstellerin ist von der ersten Szene an die irische Landschaft, wie flämische Gemälde von Kameramann Ben Davies in Szene gesetzt, genauso wie die Interieurs. Unwiderstehlich schön und in all ihrer Kargheit voller Mystik, so wie der Filmtitel. Mit den Charakteren befindet sie sich in einem direkten Dialog. Erst durch die Umgebung können sich die Schrulligkeiten der – mit ihrem Dialekt schwer verständlichen – Inselbewohner richtig entfalten. Oder sie macht, wie für Siobhán, das Leben hier unerträglich.
Colm ist nicht von Hass getrieben, sobald Pádraic in Not ist, ist er zur Stelle. Es ist vielmehr die Angst vor dem Vergessen werden, die dem melancholischen Charakter innewohnt. Was bleibt ist für ihn die Musik und keine belanglosen Gespräche über Esel. Er spürt, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Die Insel ist für sein kreatives Schaffen gerade der richtige Ort. Die Menschen hier sind aber nicht die richtigen Wegbegleiter für ihn.
Selten haben Tragik und Komik so harmonisch zueinander gefunden. The Banshees of Inisherin ist urkomisch, makaber, herzzerreißend und von einer tiefgreifenden Menschlichkeit. Ein großer Erfolg auf allen Linien. Für mich der Film des Jahres 2022.
Diese Filmkritik wurde im Rahmen der Viennale (20. Oktober – 1. November 2022) verfasst.
THE BANSHEES OF INISHERIN
Drama, IRE/UK/USA 2022
Regie Martin McDonagh
Drehbuch Martin McDonagh
Kamera Ben Davies
Schnitt Mikkel E. G. Nielson
Musik Carter Burwell
Mit Colin Ferrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan
Im Kino
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