Im Kino
Die Prinzessin zusammengekauert, ihr Gesicht vergraben im opulenten Hochzeitskleid. Das Plakat zu Pablo Larraíns Film Spencer gehört zu den schönsten der jüngsten Vergangenheit. Man kann vom britischen Königshaus halten was man möchte. Es zahlt sich diesmal wirklich aus, sich nicht genervt abzuwenden. Larraín ist hier Großes gelungen. Nicht nur seine Hauptdarstellerin Kristen Stewart lockt uns ins Kino. Das tragische Leben von Prinzessin Diana wird auf geniale Art und Weise auf wenige Stunden verdichtet. Erschütternd gut.
Darum geht es
Es ist der Weihnachtsabend 1991 und Prinzessin Diana (Kristen Stewart) ist auf dem Weg zum Schloss Sandringham in Norfolk im Osten Englands. Dort sollen die Weihnachtsfeierlichkeiten mit der Familie stattfinden. Diana kommt spät. Zieht sich gleich zurück. Sie meidet den Kontakt zu den anderen. Einzig ihre Zofe Maggie (Sally Hawkins) ist für sie eine Vertrauensperson. Das Verhältnis zu Charles ist mehr als angespannt. Seine Affäre ist Diana längst bekannt. Es sind die letzten Tage eines Märchens, das nie eines war.
Kommentar
Pablo Larraín siedelt seine Geschichte wenige Monate vor dem Ende der Ehe von Charles und Diana an. Er spekuliert darüber, wie es wohl beim letzten gemeinsamen Weihnachten zugegangen sein mag. Dabei bedient er sich eines dramaturgischen Kniffes und konzentriert sich auf die intimen Momente mit Diana und 2-3 ihrer Bezugspersonen. Die Zusammentreffen mit dem Rest der Familie werden weitestgehend ausgespart.
Die erdrückende Atmosphäre im nicht nur zwischenmenschlich kalten Schloss ist unverkennbar Spiegel Dianas eigener Empfindungen. Gefangen in einem Luxuskäfig, wird sich das Mitleid in Grenzen halten. Allerdings gelingt es Larraín und Stewart die menschliche Ebene derart glaubwürdig zu vermitteln, dass man sehr wohl Mitgefühl empfinden kann.
Immer wieder, nicht nur in der famosen Eröffnungssequenz, verweist der Film auf Absurditäten, die den königlichen Alltag begleiten. Es sind Details, deren Ziel es aber nicht ist, die Lebensweise lächerlich zu machen. Es zeigt vielmehr, dass man so einfach nicht leben kann und das dieses Umfeld nichts anderes als Psychoterror ist. Privatsphäre gibt es nicht. Über jede Kleinigkeit bestimmt das Protokoll.
Der Soundtrack von Jonny Greenwood gehört zu den besten des Jahres: jazzig, klassisch, experimentell und bedrohlich. Neben der großartig spielenden Kristen Stewart sind Sally Hawkins als Zofe, Sean Harris, als einfühlsamer Küchenchef und Timothy Spall als inoffizieller Aufpasser zu sehen.
Spencer ist ein atmosphärisch dichtes Biopic geworden, dass sich auf wenige Tage fokussiert und dabei doch soviel über seine Protagonistin preis gibt. Einer der sehenswerteren Filme des vergangenen Jahres.
Gesehen während der Viennale 2021.
Spencer
Drama, D/GB/USA/CHIL/2021
Regie Pablo Larraín
Drehbuch Stephen Knight
Kamera Claire Mathon
Schnitt Sebastián Sepúlveda
Musik Jonny Greenwood
Mit Kristen Stewart, Jack Farthing, Sally Hawkins, Sean Harris, Timothy Spall
Länge 117 Min.
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