Ridley Scott, gerade 84 Jahre alt geworden, empörte sich unlängst darüber, dass junge Menschen nicht in Massen die Kinos stürmten, um in seinem neuen Film einhundertdreiundfünfzig Minuten lang dabei zuzusehen, wie Männer in lustigen Kostümen durch die schöne Landschaft Frankreichs reiten. Um Missverständnisse auszuräumen: The Last Duel ist einer der wichtigsten Filme des Jahres. Ob es allerdings zielführend ist, ein und die selbe historische Geschichte aus drei Perspektiven in epischem Ausmaß und nur in leichten Nuancen variierend zu erzählen, wenn man mit seiner Botschaft ein breiteres Publikum erreichen möchte, sei dahingestellt. Laut der Definition von Scott zählt übrigens auch der Autor dieser Zeilen (gerade noch) zur „Handy-Generation“, deren Aufmerksamkeitsspanne nicht über eine Ampelphase hinausgeht. Es stimmt schon: junge Erwachsene sind das treueste Kinopublikum und ob das Kino wieder zur alten Form zurückfinden wird, ist mehr als ungewiss. Selbst der Film, um den es hier geht, war bereits wenige Wochen nach dem Kinostart bei Disney+ verfügbar.
Darum geht es
Die beiden Freunde Jean de Carrouges und Jacques Le Gris kehren gerade von einer Schlacht zurück. Während Jacques in höheren Kreisen verkehrt und mit Pierre, dem Cousin von König Charles VI, befreundet ist, wird Jean eher belächelt. Nicht zuletzt, weil er finanzielle Probleme hat. Um seine Lage zu verbessern, ehelicht er Marguerite de Thibouville. Ein Stück Land, dass Jean durch die Heirat versprochen wurde, vergibt Pierre jedoch an Jacques. Es kommt zum Zerwürfnis zwischen den beiden Männern.
Der 100-jährige Krieg flammt immer wieder auf und Jean, zwischenzeitlich zum Ritter geschlagen, zieht von Schlacht zu Schlacht. Seine Frau läßt er bei seiner Mutter zurück. Als selbst diese einmal vereist, bekommt Marguerite unerwarteten Besuch von Jacques. Der überwältigt Marguerite und vergewaltigt sie. Um die Ehre seiner Frau und vor allem seine eigene wiederherzustellen geht Jean vor Gericht. Allerdings ist der König das Gesetz und einzig Gott entscheidet über die Wahrheit. Keine gute Ausgangssituation für den Außenseiter und seine Frau.
Der Film ist in in drei Kapiteln unterteilt. The Last Duel erzählt die Geschichte aus den Perspektiven von Jean de Carrouges, Jacques Le Gris und Marguerite de Carrouges.
Kommentar
Wenn Männer in Rüstungen durch die Landschaft und Ruinen reiten hat das immer auch etwas Lächerliches. Dort wo sonst Touristen alte Mauern besichtigen, stolzieren nun Ritter mit ernster Miene begleitet von pseudomittelalterlicher Musik. Mir kommt vor, dieser Effekt stellt sich immer dann ein, wenn versucht wird, möglichst authentisch zu sein. Mittelalterlicher Jahrmarkt mit 100 Millionen Budget sozusagen. Auch Ridley Scott verzichtet darauf, wenigstens auf der musikalischen Eben modernere Akzente zu setzen.
Im Grunde spielt es auch keine Rolle, in welcher Zeit diese Geschichte spielt. Wenn sich Marguerite (großartig: Jodie Comer) im finalen Akt vor dem König rechtfertigen muss und ihre Glaubwürdigkeit als Opfer in Frage gestellt wird, erinnert das frappant an die Gegenwart. Die Scheinwerfer sind stets auf die Opfer gerichtet, die mit ihrer Entscheidung an die Öffentlichkeit zu gehen in Kauf nehmen, an den medialen Pranger gestellt zu werden. Die Täter bleiben dabei mehr im Hintergrund, stilisieren sich selbst zu Opfern oder ziehen die Situation ins Lächerliche.
Für Marguerite (und ihren Ehemann) steht allerdings mehr auf dem Spiel. Beider Schicksal liegt in den Händen von Charles VI (er ist als der wahnsinnige König in die Geschichte eingegangen) oder in jener Gottes. Eine Frau, die einen mutmaßlichen Ehrenmann beschuldigt, passt nicht in das Gesellschaftsbild jener Zeit.
Das dem Film zugrundeliegende Duell fand am 29. Dezember 1386 statt. Sowohl von der Verhandlung als auch vom Duell sind umfangreiche Aufzeichnungen überliefert. Scott orientiert sich nach dem Buch The Last Duel: A True Story of Trial by Combat in Medial France von Eric Jager, in dem Le Gris als Schuldiger hervorgeht. Die Schuldfrage konnte aber nie abschließend vor einem Gericht geklärt werden, was letzten Endes der Grund für das Duell gewesen ist. Die Entscheidung über Recht und Unrecht wurde Gott überlassen. Ridley Scott hat das Finale in gewohnter Wucht und mit maximaler Brutalität inszeniert.
Leider bleibt der Film trotz starker DarstellerInnen und einem in Erinnerung bleibenden finalen Akt hinter seinem Potential zurück, was nicht zuletzt der Dreiteilung der Geschichte und der damit einhergehenden Länge geschuldet ist.
Das Duell zwischen de Carrouges und Le Gris war das letzte Duell, dass in Frankreich von Parlament und König genehmigt wurde.
THE LAST DUEL
Drama, UK/USA 2021
Regie Ridley Scott
Drehbuch Nicole Holofcener, Matt Damon, Ben Affleck
Kamera Dariusz Wolsky
Schnitt Claire Simpson
Musik Harry Gregson-Willliams
Mit Jodie Comer, Matt Damon, Adam Driver, Ben Affleck
Länge 153 Min.
Streamingplattform Disney+
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