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Als ich 1996 bei einer Kinopremiere auf Kurt Waldheim getroffen bin, wusste ich, dass er UN-Generalsekretär und Bundespräsident gewesen ist. Auch an eine Waldheim-Affäre konnte ich mich erinnern. Welche gesellschaftspolitischen Implikationen der Wahlkampf 1986 und die darauffolgende Präsidentschaft in Österreich ausgelöst hatte, war mir weniger klar. Ruth Beckermann hat nun im Zuge einer umfassenden Archivrecherche die damaligen Ereignisse zusammengefasst. Erstmals auch aus der Perspektive internationaler Medien. Ein Film für alle, die damals zu jung waren und verstehen möchten, was den Nährboden für die heutige politische Landschaft in Österreich bereitet hat und jene, die sich nicht mehr erinnern können. Ein Vergessen, das einen eigenen Namen hat: das Waldheim-Syndrom.

Am Anfang sind Waldheims Hände. Sie sind gigantisch groß und erinnern an Tim Burtons Figur Jack Skellington aus The Nightmare before Christmas. Beckermann ist fasziniert von ihnen. Als wolle er ganz Österreich umarmen. Es sind die einzigen Aufnahmen von ihm, dem Kandidaten, wie sie ihn durchwegs nennt, die sie selbst bei einer Wahlkampfveranstaltung angefertigt hat. Die Regisseurin hat sich in den Fernseharchiven auf die Suche nach Zeitdokumenten gemacht und bewusst auf neues Material verzichtet. Die Positionen hätten sich ohnehin nicht geändert. Die Aufnahmen sprechen für sich. Auch 30 Jahre danach.

Was sich hier vor dem Publikum offenlegt, ist nicht nur Waldheims Gedächtnis, sein Nichtwissen und Vergessen, sondern ein tiefer Einblick in die österreichische Seele. Dem kleinen Land, das sich seine eigene Vergangenheit zurecht gebogen hatte und äußerst empfindlich auf Andersdenkende und Stimmen von Außen reagierte. Man wurde nicht müde, die Opferrolle Österreichs im Zweiten Weltkrieg zu betonen und wollte Vergangenes ruhen lassen.

Ein Österreicher, dem die Welt vertraut.

Text der Plakatkampagne der ÖVP

Kurt Waldheim hat seine Vergangenheit schlicht geleugnet. In seiner Biografie fehlen die Jahre 1942 bis 1944, in denen er als Offizier der Wehrmacht unter anderem in Saloniki stationiert war. Der Jüdische Weltkongress versuchte Aufklärungsarbeit zu leisten. Was der große Teile der österreichischen Bevölkerung als Einmischung verstand und den Antisemitismus bestärkte, der von Politikern aller Lager für ihre Zwecke gerne aufgegriffen wurde. Die später eingesetzte Historikerkommission konnte Waldheim zwar keine Kriegsverbrechen nachweisen, ihn jedoch nicht von der moralischen Schuld freisprechen. Kurz vor seinem Tod zeigte sich Waldheim einsichtig und bat um Verzeihung. Vielleicht entsprang das seiner tiefkatholischen Überzeugung. WALDHEIMS WALZER ist aber weniger das Portrait eines Staatsmannes, als das einer Gesellschaft.

Der Wahlkampf führte zu einem Aufbrechen von gesellschaftlichen Gegensätzen und setzte hinsichtlich der Opferthese einen Umdenkprozess in Gang. Bis zur Rede Franz Vranitzkys über die Mitschuld der Österreicher sollten aber noch Jahre vergehen. Im Film sind Männer zu sehen, die am Graben in Wien ungeniert vor laufender Kamera ihre antisemitischen Parolen von sich geben. Ein nationaler Schulterschluss machte das möglich. Durch Fakten ließ sich kaum jemand überzeugen. Wem kommt das bekannt vor?

Von der Ostküstenpresse und einer Schmutzkübelkampagne ist die Rede. Eine Diktion, die sich bis heute gehalten hat, wenn es darum geht Rechtspopulisten Lügen zu Strafen. Der Mobilisierungsgrad dieser hetzerischen Gefühle schlug sich im eindeutigen Wahlergebnis nieder.

„Jetzt erst recht!“

Text der Plakatkampagne der ÖVP

Es gab aber auch Gegenproteste. Im Zuge des Wahlkampfes wurde 1986 der „Republikanische Club“ gegründet, der heute den Zusatz „Neues Österreich“ im Namen trägt. Er versteht sich als Teil der Zivilgesellschaft und tritt gegen Antisemitismus und Rassismus auf. Im gehört auch Ruth Beckermann an. Sie beginnt ihren Film mit Aufnahmen einer damaligen Kundgebung in der Wiener Innenstadt. Der Club sah in Waldheim nicht das Problem sondern ein Symptom. In WALDHEIMS WALZER wird das deutlich.

Die Dokumentation ist formal spannend. Sie besteht fast ausschließlich aus gesendetem TV-Material, daher auch das Bildformat 4:3. Die Ästhetik der Bilder, also wie etwas in Szene gesetzt wurde, mag vielleicht nur für Insider interessant sein. Das Framing für Waldheims erste Ansprache wirkt aus heutiger Sicht wie aus dem Kasperltheater. Wie sich Menschen auf der Straße vor einer laufenden Kamera verhalten haben, zeigt aber deutlich, wie sich das Verhältnis zu Medien und im speziellen Fernsehen verändert hat. Hier hat eine Sensibilisierung stattgefunden, die das Medium größtenteils selbst zu verantworten hat. Drängten sich damals Menschen vor die Kamera um ihren Unmut zu äußern, ist es heute schwierig überhaupt jemanden vor das Objektiv zu bekommen.

Einen Tag nach Waldheims Sieg trat Fred Sinowatz als Bundeskanzler zurück. Ihm folgte Franz Vranitzky nach. Dieser führte die Koalition mit der FPÖ fort bis Jörg Haider den Parteivorsitz übernahm. Daraufhin war die Koalition Geschichte und es kam im Herbst 1986 zu Neuwahlen. Der Aufstieg der FPÖ hatte begonnen. Er war geprägt von der Wir-sind-wir-Mentalität und dem Spiel mit der Verharmlosung der Rolle Österreichs während des Nationalsozialismus. Ganz im Sinne des Slogans „Wir Österreicher wählen, wen wir wollen!“ aus dem Präsidentschaftswahlkampf. Gleichzeitig begann erstmals eine Aufarbeitung der Vergangenheit, die mehr 10 Jahre später zu den Restitutionen von Kunstwerken führte.

Für Ruth Beckermann ist der Blick mit zeitlichem Abstand interessant. Aus der Sicht einer Aktivistin hat sie die Geschichte für eine neue Generation aufbereitet. Die Parallelen zu Heute sind erschreckend. Vor allem die Immunität gegenüber Fakten und das gezielte Schüren von Ressentiments für bestimmte politische Ziele. Waldheim war kein Nazi sondern Opportunist. Schon früh in den nationalsolzialistischen Jungendverbänden, hielt er sich zurück, sobald sich eine Niederlage abzeichnete und er sich so für eine politische Karriere nach dem Krieg in Stellung brachte. Geprägt durch die Familie als christlich-konservatives Wertekonzept unter Vereinahmung von Tradition und Brauchtum. An letzteren kommt auch heute noch kein Kandidat vorbei. Dazu passt es, das Bundeskanzler Sebastian Kurz gerade erklärte, Österreich „zurück an die Spitze“ bringen zu wollen. Das ist, wie man an jüngsten Reformen erkennen kann, durchaus Ideologisch gemeint. In Österreich war man schon immer gut darin, die Vergangenheit zu glorifizieren.

WALDHEIMS WALZER wurde als diesjähriger Kandidat für den Auslandsoscar vorgeschlagen. Eine Entscheidung, die nicht ganz nachvollziehbar ist. Auch die Viennale hat in diesem Jahr im Programm die Unterteilung von Spiel- und Dokumentarfilmen aufgehoben. Die Chancen für eine Berücksichtigung sind aber eher als gering einzustufen.

Ruth Beckermann | A 2018 | 93 Min | 4 out of 5 stars

© Foto: Filmladen Filmverleih

Ruth Beckermann über die Recherche zu WALDHEIMS WALZER in der Presse: → Link. (€)

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